Der Wildpark ist uns gut bekannt von unseren BuHu-Stammtischen. Immer wieder spazieren wir durch den Eschenbergwald und essen anschliessend im Bruderhaus zusammen Znacht. Thomas Rothlin, seit 8 Jahren Wildparkleiter, führte uns durch «seinen» Wildpark. Da die Einladung sehr spontan zu Stande kam, brauchte es spontane Teilnehmende. 17 BunteHunde konnten es sich so kurzfristig einrichten und fanden den Weg in den Wildpark Bruderhaus.
Fotos Lucia Rietiker
Den Rundgang begannen wir beim Ökonomiegebäude. An der West- und Nordwand sind diverse Nistkästen angebracht. Die einen für einheimische Vögel wie Baumläufer, Mehlschwalbe, Mauersegler und der grosse, schmale für Fledermäuse. Er sei bewohnt, kleine Mäusekegelchen auf dem Boden unter ihm zeugten davon. Zu sehen waren die nachtaktiven Tierchen trotz Hinaufspähen nicht.
Weiter ging es zu den Mufflons, den europäischen Wildschafen. Die Widder tragen imposante, kreisförmige Hörner, die ein Leben lang nachwachsen, die weiblichen Tiere tragen kurze oder keine Hörner. Über eine schmale Überführung haben die Mufflons Zugang zu den Przewalskipferden. Die Gemeinschaftsanlage wird von beiden benutzt. Die Pferde können den schmalen Steg nicht überqueren, so dass die Mufflons sich bei Bedarf auf ihre eigene Seite zurückziehen können.
Im Bruderhaus wird eine reine Przewalski-Stutenherde gehalten. Diese ist genetisch so zusammengestellt, dass Jungtiere für ein allfälliges Erhaltungszuchtprogramm oder Auswilderungs-projekt gezüchtet werden könnten. Es wurden auch schon Stuten abgegeben.
Typisch für dieses Wildpferd sind die gedrungene Statur; der grosse Kopf; das rötlich- bis gelblich braune Fell an Rumpf und Hals; der helle Bauch; die schwarzbraune Stehmähne; der dunkelbraune, fingerbreite Aalstrich auf dem Rücken und die schwarzen Beine bis oberhalb von Knie und Handgelenk.
Gefüttert wird an ganz verschiedenen Stellen im Gehege, mit der Absicht, dass die Stuten dauernd unterwegs sein müssen wie in der Wildnis. Der Boden des Geheges ist rau und hart gehalten, so dass die meisten Pferde ihre Hufe selber ablaufen können und kaum oder gar keine Hufpflege benötigen. So braucht es keine Narkose, dadurch werden Stress und Todesfälle vermieden.
Ebenfalls in diesem Gehege sahen wir einen prächtigen Hahn. Er gehört zu einer Herde von Bankivahühnern. Sie sind flugtauglich, entkommen Mardern und Füchsen und übernachten auf Bäumen. Das Bankivahuhn ist die wildlebende Stammform des Haushuhns.
Weiter ging’s zum Wolfgehege. Im 2023 begann eine neue Ära. Nachdem die letzten beiden Wölfe aus dem alten Rudel erlöst werden mussten, kam mit der jungen Wölfin Tara wieder neues Leben ins Gehege. Kurz darauf folgte Jungrüde Romulus. Weil die beiden noch jung sind, war nicht klar, ob dieses Jahr schon Nachwuchs erwartet werden durfte. Zur grossen Freude entdeckte Thomas diesen Frühling zwei Welpen.
Die beiden entpuppten sich etwas später als Rüden. Wie auch beim letzten Rudel werden nach dem zweiten Wurf von Tara die Wölfinnen kastriert. So können auch die Rüden im Rudel verbleiben.
Fotos von den Informationstafeln Lucia Rietiker
Würden die Weibchen läufig, käme es zu Kämpfen und die Jungrüden müssten das Rudel verlassen. Im Gehege geht das nicht, in andere Rudel integrieren ist nicht möglich bei Wölfen – die Neuankömmlinge würden vom Rudel getötet – und in andere Wildparks oder Zoos kann man nur selten Wölfe abgeben. So ist diese Variante mit Kastrieren die sinnvollste.
Thomas warf einige tote Küken ins Gehege, in der Hoffnung, dass sich die Elterntiere zeigen würden. Gespannt warteten wir. Nichts geschah. Thomas meinte: «Gesehen haben sie die Küken, wir brauchen Geduld. Seid leise!» Trotz Ruhe und Warten blieben die beiden verborgen. Nun schickte uns Thomas in den «Bunker». Und siehe da, Romulus tauchte auf aus dem Gebüsch und erschien auf der Wiese. Tara blieb am Rande. Als Hundemenschen freute uns das Auftauchen der beiden besonders.
Welpenvater Romulus
Auf dem Weg zu den Rothirschen trafen wir auf das Terrarium der Ringelnatter, die auch wild im Park bei den Lüchsen, im Eschenberg, schweizweit wie auch in ganz Europa und Westasien in Feuchtgebieten und sumpfreichen Gegenden vorkommt. Wie alle Schlangen mit runder Pupille ist auch die Ringelnatter ungiftig. Sie ist scheu und weicht jeder Begegnung aus.
Fotos: Homepage Stadt Winterthur Bruderhaus
In der Nähe stiessen wir auf den Insektenfutterplatz. Gäste fanden sich leider nicht ein, hingegen sahen wir die Früchte für die Honigbienen, Wespen, Hummeln und Ameisen.
Auf demselben Wegabschnitt trafen wir auf den Nist- und Überwinterungsbaum für Insekten.
Nun führte uns Thomas zu den Rothirschen. Diese stattlichen Tiere leben in Rudeln, das Kalb bleibt bei seiner Mutter. Bevor sie im Mai oder Juni ein neues Kalb gebiert, vertreibt sie das alte Kalb. Weibliche Jährlinge schliessen sich der Mutter nach der Geburt des neuen Kalbes wieder an, männliche Jährlinge tun sich mit anderen Hirschen zu Hirschrudeln zusammen.
Im Sommer fressen sie sich Fettreserven für die Brunftzeit an und im Herbst suchen die Hirsche die weiblichen Tiere auf. Dann wird gekämpft um den Rang des Platzhirsches, der beim weiblichen Rudel bleiben kann und Nachwuchs zeugen darf. Jetzt weiss auch ich, was ein Platzhirsch wirklich ist.
Die Hirsche tragen ein knöchernes Geweih, das jährlich im Februar, früher Hornung genannt, abgeworfen wird. Je älter der Hirsch, desto mehr Enden weist das Geweih auf.
Homepage Stadt Winterthur Bruderhaus
Das ganze Geweih kann bis zu 14 kg wiegen. Innert 140 Tagen wächst es wieder nach. Ein jährlicher Grossaufwand. Zuerst ist es mit Bast bezogen, den die Hirsche an Bäumen und Sträuchern abfegen.
Foto Lucia Rietiker
Das Geweih wird eingesetzt, um sich zu kratzen – die Tiere wissen sehr genau, wo das Geweih endet – und um zu kämpfen in der Brunftzeit. Mit Anlauf gehen die Bullen auf einander los, die Geweihe prallen mit Wucht zusammen, verhaken sich ineinander. Der Gewinner des «Schlussganges» ist der Platzhirsch. – Das Einsammeln von Hirschgeweihen ist übrigens nicht erlaubt, wer Geweihstangen ohne Erlaubnis mitnimmt, macht sich der Wilderei schuldig.
Auf ging’s zu den Wildschweinen. Vor ihnen, wie auch vor den Wisenten, meinte Thomas, habe er deutlich mehr Respekt als vor den Wölfen. Bei den Wölfen sei es in all den Jahren nur einmal zu einer kritischen Situation gekommen, als ein Wolf die Scheu verlor. Dieser war krank, stellte es sich im Nachhinein heraus, er hatte einen Hirntumor. – Respekt sei bei Wildtieren immer von Nöten.
Im Bruderhaus halten sie die Tiere bewusst auf Abstand, so dass die Wildtiere ein möglichst artgerechtes Leben leben können in den Gehegen. Die Wildschweine waren im 18./19. Jahrhundert in Mitteleuropa fast ausgerottet. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man mit der Wiederansiedlung im nördlichen Mittelland, im Jura, Tessin und Wallis. Seit 1985 haben sich die Bestände erholt und die Tiere nehmen laufend mehr Gegenden in Beschlag.
Auch im Winterthurer Wald ist das Wildschwein frei anzutreffen. Unterdessen leben wieder zwischen 6000 und 10000 Wildscheine in der Schweiz. Jährlich werden ebenso viele geschossen, um die Schäden, die sie verursachen, einzugrenzen.
Bald standen wir vor dem Gehege der Wisente. Ein riesiger Bulle war etwas weiter hinten zu sehen. Imposante Tiere auch die Weibchen. Die Bullen können bis zu 900 kg wiegen. Wie bei den Przewalskipferden wollten Thomas und seine Helfer Futterautomaten aufstellen, damit die Wisente zu wechselnden Zeiten und an unterschiedlichen Orten gefüttert werden könnten, mit dem Ziel, dass die Rinder in Bewegung bleiben. Die Wisente hatten andere Pläne und öffneten eins ums andere Mal die Automaten mit Gewalt, Hörner sei Dank. So stehen diese Apparate zwar nach wie vor im Gehege, dienen unterdessen aber als normale Futterstellen.
Der Wisent lebte früher wild in Europa und Asien. Um 1920 wurde der letzte wildlebende Wisent gewildert. In europäischen Zoos fanden sich nur noch 54 Wildrinder. Dank einem europäischen Erhaltungszuchtprogramm leben unterdessen wieder gut 7000 Tiere, zur Hälfte in Zoos und Wildparks, zur anderen Hälfte in Schutzgebieten.
Das Bruderhaus beteiligt sich an der Erhaltung dieser wildlebenden Rinderart, dem grössten und schwersten Landsäugetier Europas. Damit die Wisente nicht narkotisiert werden müssen für den Transport in einen anderen Wildpark oder zum Auswildern, passieren sie täglich einen Pferch aus Eisenstangen. Hie und da werden sie dort kurz blockiert und anschliessend durchgelassen. So sind sich die Tiere gewöhnt, durch das Engnis durchzugehen. Dort können sie gestoppt und ohne grossen Stress oder gar Narkose in einen Transportcontainer umgeladen werden. Im Schweizer Jura ist ebenfalls ein Auswilderungsprojekt geplant. Ob es in der engen Schweiz eine Zukunft hat, ist ungewiss.
Der Rundgang endete beim Luchsgehege. Zwei Luchse standen neugierig hinter der Glasscheibe. Wer da wen beobachtet?
Diese beiden wurden aus einem Park übernommen, wo sie nahen Kontakt zu Menschen hatten, darum die fehlende Scheu vor uns Menschen. Ein dritter Luchs hielt Abstand, lag am Gegenhang auf einer Ausgucksplattform und behielt das Ganze in vorsichtigem Abstand im Auge. Er kommt von einem anderen Wildpark ohne Menschennähe. Hier fotografiert mit starkem Zoom des Teleobjektivs.
Auch als Thomas den beiden Wunderfitzen Küken zuwarf, blieb der dritte Luchs auf Abstand.
Screenshots aus einem Videofilm Silva Peter
Imposant, wie der eine Luchs gerade hinter dem Maschendrahtzaun die geworfenen Küken im Flug einzufangen versuchte, mal mit, mal ohne Erfolg. Thomas meinte, «Ach, ihr seid ja schon satt, da gibt es nur noch einen müden Einsatz.» Trotzdem kann man die Schnelligkeit und Gewandtheit dieser einheimischen Raubkatzen erkennen.
Der Luchs wurde im 17. Jahrhundert in der Schweiz grösstenteils ausgerottet, definitiv im 20. Jahrhundert. In den 1970-er Jahren wurde er wiederangesiedelt in den westlichen Alpen und im Jura. Unterdessen gibt es zwei Luchspopulationen. Die eine lebt in den Alpen, die andere im Jura, wobei letztere grenzüberschreitend auch Verwandtschaft mit den Luchsen im französischen Jura pflegt.
Anschliessend assen wir – mit stündiger Verspätung! – wie immer sehr gut Znacht im Bruderhaus. Thomas erzählte dermassen packend, dass wir unsere knurrenden Mägen nicht wahrgenommen hatten. Eine Frage jagte die nächste, immer wusste er Antwort.
Herzlichen Dank, lieber Thomas, es war super spannend!
Dass es so tolle Fotos gibt, verdanken wir unseren Fotografinnen, Ursula Montinaro, Françoise Moser und Lucia Rietiker. So macht es Spass, einen Bericht zu schreiben.
Silvia Peter